Interview mit Dr. Hoffmeister-Kraut

Etabliert als starker Wirtschaftsstandort

Interview Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut, Ministerin für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus des Landes Baden-Württemberg

 

Welche Bedeutung hat der Ostalbkreis wirtschaftlich für das Land Baden-Württemberg?

Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut: Der Ostalbkreis hat sich als starker Wirtschaftsstandort in Baden-Württemberg etabliert. Eine innovative Branchenstruktur, zahlreiche Weltmarktführer und Hidden Champions, wettbewerbsfähige Cluster und das leistungsstarke Netzwerk Photonics zeichnen den Landkreis aus. Er verfügt über Standortfaktoren, die eine starke regionale Wettbewerbsfähigkeit widerspiegeln. Nicht umsonst wurde der Kreis im Landeswettbewerb „RegioWIN“ im Jahr 2021 bereits zum zweiten Mal für seine zukunftsfähige Regionalentwicklung prämiert. Metallindustrie, Maschinen-, Anlagen- und Werkzeugbau, Automotive, Photonik, Optik/Optoelektronik oder Oberflächentechnologie – der Kreis kann ein breites Branchenspektrum seiner ansässigen Unternehmen vorweisen. Die Nähe zur Metropolregion Stuttgart und dem Raum Ulm unterstützt die wirtschaftlichen Akteure enorm.

Wie sieht es mit dem Innovationspotenzial im Ostalbkreis aus?

Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut: Der Ostalbkreis hat in den vergangenen Jahren erheblich an Innovationskraft gewonnen. Mit dieser Innovationsdynamik belegt der Ostalbkreis bei der Innovationsfähigkeit Platz 15 von 44 Stadt- und Landkreisen im Jahr 2022. Dieses gute Ergebnis ist insbesondere dem Einzelindikator „Beschäftigtenanteil in industriellen Hochtechnologiebranchen“ geschuldet, bei dem der Ostalbkreis den Platz 9 einnimmt. Um die zukünftigen  Transformationsherausforderungen zu bewältigen, hat der Ostalbkreis in seinem Regionalen Entwicklungskonzept „Nachhaltige Innovationen im Ostalbkreis – Zukunftsideen für Mensch & Umwelt“ im Rahmen des Wettbewerbs RegioWIN 2030 vier Zukunftsfelder aufgeführt: A. Digitalisierung/Künstliche Intelligenz/Industrie 4.0, B. Ressourceneffizienz und Energiewende, C. nachhaltige Mobilität und D. nachhaltige Bioökonomie. Die aus dieser Strategie abgeleiteten Leuchtturmprojekte „KI-Werkstatt Mittelstand“ an der Hochschule Aalen und „Albturm mit Zukunftsforum – Transferort für nachhaltige Innovationen in der Forst-, Wald- und  Holzbauwirtschaft“ wurden ebenfalls prämiert.

Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein, um international mitzuhalten?

Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut: Damit die exportorientierte Wirtschaft eines Hochlohnlandes wie Baden-Württemberg ihre Stellung stärken und weiter ausbauen kann, sind erhebliche Anstrengungen in den Bereichen Forschung, Entwicklung und Innovation notwendig. Vor dem Hintergrund des tiefgreifenden Strukturwandels der gesamten Wirtschaft durch die Digitalisierung, Maßnahmen zum Klimaschutz, dem Trend zu wissensbasierten Dienstleistungen sowie auch durch externe Einflüsse und Krisen wie die Corona-Pandemie und den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine gilt es, die Wettbewerbsfähigkeit und die Resilienz der heimischen Wirtschaft nachhaltig zu stärken. Die Innovationspolitik des Landes baut insgesamt auf einer langfristig angelegten Forschungs- und Technologiepolitik auf, die die gesamte Breite des Innovationsprozesses – von der Forschung im Grundlagenbereich über die anwendungsnahe Forschung, den wechselseitigen Wissens- und Technologietransfer bis hin zur Produktentwicklung und Markteinführung – abdeckt und darüber hinaus die berufliche und wissenschaftliche Umsetzung zu bringen und als Produkte weltweit erfolgreich zu vermarkten. Entscheidende Faktoren im internationalen Innovationswettbewerb sind neben einer leistungsfähigen Forschungsinfrastruktur vor allem Schnelligkeit, eine enge Vernetzung zwischen Wirtschaft und Wissenschaft, ein qualifiziertes Fachkräfteangebot und geeignete Finanzierungsmöglichkeiten. Insgesamt flossen im Zeitraum 2011 bis 2021 im Rahmen der einzelbetrieblichen Wirtschaftsförderung rund 440 Millionen Euro an Darlehen der L-Bank in den Ostalbkreis.

 

Frau im schwarzen Blazer vor einer Wand

Stichwort Innovationen und Gründer: Gibt es hier Punkte, mit denen der Landkreis hervorsticht?

Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut: Mit Blick auf die enormen Herausforderungen unserer Zeit ist die Innovationsfähigkeit Baden-Württembergs stärker denn je gefragt. Neben etablierten und innovationsstarken Unternehmen auf der einen Seite kommt auch einer innovationsförderlichen Start-up-Kultur in den Regionen eine zentrale Rolle zu. Hier kann der Ostalbkreis auf die gmünder wissenswerkstatt eule, das zapp Gründer- und Wirtschaftszentrum in Schwäbisch Gmünd und das Innovationszentrum INNO-Z an der Hochschule Aalen zur Unterstützung von Start-ups auf dem Campus aufsetzen. Im Rahmen des Landeswettbewerbs „Start-up BW Local“ hat der Ostalbkreis gemeinsam mit dem Landkreis Heidenheim als Start-up Region Ostwürttemberg mit einem innovativen Ansatz überzeugt und wurde mit dem Prädikat „Gründungsfreundliche Kommune“ ausgezeichnet. Der Verein Start-up Region Ostwürttemberg koordiniert mit seinen Partnern die Aktivitäten der Start-up Region Ostwürttemberg und unterstützt Start-ups und junge Technologieunternehmen mit tragfähigen Geschäftsideen. Mit dem bereits erwähnten Innovationszentrum an der Hochschule Aalen, dem AAccelerator Aalen, dem Giengener Gründerbahnhof, dem Dock 33 in Heidenheim und dem Coworking Space in:it in Schwäbisch Gmünd bestehen aktuell fünf attraktive Start-up-Acceleratoren und Coworking Spaces in der Region. Zudem wurde mit der MAKE Ostwürttemberg ein Messe- und Veranstaltungsformat erfolgreich etabliert, das 2022 bereits zum vierten Mal stattfand und bei dem bekannte Unternehmen, Hochschulen sowie Start-ups aus der Region einem breiten Publikum Digitalisierungs- und weitere Zukunftstrends greifbar präsentieren.

Forschung: Wie bedeutend sind die Hochschulen, Forschungs- und Bildungseinrichtungen im Ostalbkreis für das Land, für die Wirtschaft?

Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut: Hochschulen, Forschungs- und Bildungseinrichtungen spielen eine zentrale Rolle für die Innovationsfähigkeit Baden-Württembergs und seiner Regionen. Sie bilden die Basis für neue Produkte und Dienstleistungen unserer Unternehmen. Darüber hinaus leisten diese Einrichtungen einen wichtigen Beitrag zur Fachkräftesicherung und zur Standortattraktivität. Zahlreiche Forschungs- und Bildungsinstitute und Steinbeistransferzentren stehen im Ostalbkreis als Partner zur Verfügung, wie das fem Forschungsinstitut Edelmetalle und Metallchemie Schwäbisch Gmünd oder die Hochschule Aalen – eine der innovativsten Bildungseinrichtungen der angewandten Forschung. Sie unterstützen die ansässigen Unternehmen – von Start-ups über kleine und mittlere Unternehmen bis hin zu etablierten Weltmarktführern. Damit der wirtschaftliche Erfolg des Kreises nicht abreißt, werden mit dem Zentrum Technik für Nachhaltigkeit (ZTN) und dem explorhino an der Hochschule Aalen die Weichen für die Zukunft des Fachkräftenachwuchses gestellt. An der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd entsteht zudem das Zentrum für Human Ressource Development ZHUM. Auch im Bereich Schule und Ausbildung finden sich mit den Lernfabriken 4.0 in Aalen und Schwäbisch Gmünd, dem Bildungszentrum der IHK und dem Elektro Technologie Zentrum in Aalen sowie der Europäischen Ausbildungs- und Transferakademie EATA in Ellwangen im Ostalbkreis zahlreiche Möglichkeiten, um junge Menschen an neue Technologien heranzuführen und die Berufsausbildung zu stärken, indem zum Beispiel ausbildungsfähige Flüchtlinge auf dem Weg in ein Praktikum oder eine Ausbildung unterstützt werden.

Die vergangenen Jahre waren nicht leicht: Erst die Pandemie, dann der Ukraine-Konflikt, jetzt die Energiekrise: Welche Folgen erwarten Sie daraus für die Wirtschaft und die Region? Wie erfolgt das Gegensteuern?

Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut: Klar ist, dass die rasche Abfolge der Krisen in der jüngsten Vergangenheit dafür gesorgt hat, dass das Bewusstsein für die Transformationsherausforderungen, resiliente Strukturen und ein kooperatives Vorgehen geschärft wurden. Resilienzverbesserung bedeutet für die Regionen, ihre Standortattraktivität und die Wettbewerbs- und Transformationsfähigkeit regelmäßig neu einzuordnen und zu bewerten. Regionale Wirtschaftspolitik für eine zukunftsfähige Regionalentwicklung erfordert in wiederkehrenden Abschnitten eine klare Standortbewertung im Lichte sich abzeichnender Entwicklungstrends und Transformationsherausforderungen. Die davon abgeleiteten Entwicklungsstrategien und Maßnahmen bilden die Grundlage zur Verbesserung der regionalökonomischen und transformativen Resilienz. Diese interdisziplinäre, komplexe analytische und konzeptionelle Arbeit bedarf der Zusammenarbeit aller für die regionale Entwicklung verantwortlichen Partner und Akteure. Ein wesentlicher Motor für eine resilienzorientierte Regionalentwicklung war und ist der Wettbewerb RegioWIN – auch für den Ostalbkreis. Mit der höchsten Akteurspartizipation aller Wettbewerbsregionen für die Erstellung des Regionalen Entwicklungskonzepts „Nachhaltige Innovationen im Ostalbkreis – Zukunftsideen für Mensch & Umwelt“ war der Ostalbkreis hier Vorreiter bei RegioWIN 2030. Das Erreichen resilienter Strukturen und das Bewältigen von Transformationsherausforderungen wird in Zukunft noch stärker als bislang die Verzahnung der politischen Ebenen von EU, Bund, Land und Region erforderlich machen. Ohne die Vorort-Kompetenz der Regionen und deren Fähigkeit, alle relevanten Akteure einzubinden, wird dies nicht gelingen. Daher ist es richtig, dass der Ostalbkreis aktiv an der Offensive „Zukunft Ostwürttemberg – Modellregion für nachhaltige Transformation“ mitarbeitet und seine Erfahrungen aus dem RegioWIN-Wettbewerb einbringt. Zentrale Zukunftsprojekte der Offensive „Zukunft Ostwürttemberg“ sind die Wasserstoffregion Ostwürttemberg, das Transformationsnetzwerk Ostwürttemberg, die klimaneutrale Region Ostwürttemberg sowie Zukunftsstrukturen Start-up & Innovation. So soll bereits 2024 in Schwäbisch Gmünd der künftige Technologiepark Aspen im Rahmen des baden-württembergischen Modellprojekts Hy-FIVE mit Wasserstoff versorgt werden. Das Transformationsnetzwerk Ostwürttemberg mit dem Fokus auf die Transformationsherausforderungen der Automobilwirtschaft erhielt 2022 eine Förderzusage durch den Bund.

50 Jahre Ostalbkreis: Wirtschaftlich ein Erfolg?

Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut: Auf jeden Fall. Der Ostalbkreis hat sich als starker Wirtschafts-, Forschungs-, Bildungs- und Gründungsstandort in Baden-Württemberg etabliert. Nimmt man zudem die Studie des Statistischen Landesamtes „Regionales Wirtschaftswachstum in Baden-Württemberg 2000 bis 2016“ aus dem Jahr 2019 als Ausgangspunkt einer Bewertung, dann lässt sich diese Frage für den dort betrachteten Zeitraum ebenfalls mit einem klaren Ja beantworten. Das Bruttoinlandsprodukt stieg im Ostalbkreis von 7,6 Milliarden Euro im Jahr 2000 auf 12,6 Milliarden Euro im Jahr 2016. Damit war auch eine Anteilserhöhung in Relation zum baden-württembergischen Bruttoinlandsprodukt von 2,5 auf 2,6 Prozent zu verzeichnen.

Was werden die nächsten 50 Jahre dem Landkreis und dem Land bringen?

Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut: Es ist natürlich schwierig vorherzusagen, was die nächsten 50 Jahre für den Ostalbkreis und Baden-Württemberg bringen werden. Allerdings steht außer Frage, dass die zukünftigen gesellschaftlichen und ökologischen Herausforderungen in den Bereichen Klimawandel, Energiewende, Mobilität, Fachkräftesicherung und Digitalisierung die Wirtschaftsstruktur der Regionen und des Landes nachhaltig verändern werden. Unsere industriellen Kernbranchen müssen sich unter schwierigen Rahmenbedingungen in einem harten globalen Wettbewerb neu aufstellen und neu definieren. Es wird daher maßgeblich sein, die regionale Wirtschaftsstruktur auf Grundlage vorhandener Potentiale zu diversifizieren und neue wachstumsträchtige Zukunftsfelder zu erschließen. Die Erforschung und Anwendung neuer Themen und Technologien, der Ausbau der Innovationsbasis sowie die Verbesserung des Technologietransfers werden vor diesem Hintergrund eine wachsende Rolle einnehmen. Der Wirtschaftsstandort Baden-Württemberg kann dabei immer nur die Stärke und Innovationskraft repräsentieren, die von den Unternehmen, Partnern und Akteuren in den einzelnen Regionen im Land gelebt und erwirtschaftet wird. Mit der RegioClusterAgentur für Innovation und Transformation hat das Land Baden-Württemberg eine deutschlandweit einzigartige Unterstützungsagentur für Clusterinitiativen, Wirtschaftsfördereinrichtungen sowie weitere regionale Innovationsintermediäre geschaffen. Damit unterstützt das Land die regionale Wirtschaft gezielt dabei, neue Kompetenzbedarfe und Transformationspfade zu identifizieren und neue Ansätze zur Bewältigung des Strukturwandels zu entwickeln. Die RegioClusterAgentur ist ein Projekt von strategischer Bedeutung im Rahmen der Förderung aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) in Baden-Württemberg in der Förderperiode 2021 bis 2027. Der Ostalbkreis bringt aufgrund seiner zukunftsorientierten Regionalentwicklung und ausgeprägten Hochschul- und Forschungslandschaft bereits das erforderliche Rüstzeug mit, um adäquat auf die künftigen Entwicklungen reagieren zu können. Auch die gemeinsame Kooperation mit dem Landkreis Heidenheim in der Offensive „Zukunft Ostwürttemberg“ und dem Ziel, eine Modellregion für nachhaltige Transformation zu werden, zeigen den Ehrgeiz, die Region und den Ostalbkreis zukunftsfähig aufzustellen.

Dass dieser Ehrgeiz auf einem soliden Fundament aufbaut, zeigt auch der Zukunftsatlas 2022, den das Institut Prognos vorgelegt hat. Danach ist der Ostalbkreis eine Region mit sehr hohen Zukunftschancen. Der Ostalbkreis rangiert beim Teilgebiet Wettbewerb und Innovation bundesweit 0auf Rang zwölf. Untersucht wurden alle 400 Stadt- und Landkreise in Deutschland. Im bundesweiten Gesamt-Ranking kommt der Ostalbkreis auf den sehr beachtlichen Platz 41. Wenn wir unsere Kräfte bündeln und die richtigen Netzwerke knüpfen, wenn wir Wirtschaft und Wissenschaft noch enger miteinander verzahnen und wenn wir auch in schwieriger Zeit die Rahmenbedingungen für Investitionen und Innovationen weiter verbessern – dann hat der Ostalbkreis und hat Baden-Württemberg alle Chancen, bei der Gestaltung der Wirtschaft von morgen ein gewichtiges Wort mitzureden.

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