Interview mit Dr. Joachim Bläse

Was uns besonders auszeichnet,
ist das Netzwerk.“

 

Wenn man als Landrat über die Lande zieht und dann sagt: „Ich komme aus dem Ostalbkreis“, ist anderen Kollegen die Wirtschaftskraft hier im Ostalbkreis bekannt?

Dr. Joachim Bläse: Bei den Kollegen im nahen Umfeld ist das sicherlich bekannt. Aber so außerhalb? Das ist schwierig. Das ändert sich aber ganz schnell, wenn man dann ins Gespräch kommt und zeigt, wo der Kreis liegt und welche Firmen, welche Weltmarktführer hier beheimatet sind.

Brauchen wir einen neuen Slogan, ein neues Schlagwort?

Dr. Joachim Bläse: Ich glaube, wir sind, wie wir sind. Wir haben das Claim „Vielseitig, schwäbisch, patent“ entwickelt. Da finde ich alles wieder: eine vielseitige Wirtschaft, eine vielseitige Landschaft, vielseitige Menschen. Als Schwabe sind wir auch richtig verortet. Als Schwaben sagt man ja auch: „Du bist ein patenter Mensch“, heißt: “Du bist einer, mit dem man Dinge bewegen kann.“

Woher resultiert diese Wirtschaftskraft? Musste daran 50 Jahre gearbeitet werden?

Dr. Joachim Bläse: Wir haben einen guten Mix aus klassischen Familienunternehmen und erfolgreichen Ansiedlungen. Dass Zeiss nach dem zweiten Weltkrieg in Oberkochen gelandet ist und diese Entwicklung nahm, das hat sicherlich niemand wissen können. Wir haben zudem einen starken Mittelstand, und die Land- und Forstwirtschaft sind bei uns nicht Nostalgiebetriebe, sondern wirkliche Wirtschaftszweige. Dazu die Hochtechnologie unter anderem mit Kessler, mit Varta, mit Bosch.

Firmen benötigen eine gute Infrastruktur. Da hat der Ostalbkreis doch das Nachsehen.

Dr. Joachim Bläse: Ja und nein. Firmen brauchen nach wie vor Entwicklungspotenzial. Wenn ich die Entwicklung in Aalen-Ebnat sehe, braucht es Fläche. Die haben wir. Da tun sich die großen Ballungszentren, auch die Metropole Stuttgart, schwer. Mit Blick auf den Verkehr wird es umso wichtiger, was mit dem Thema Schiene passiert. Da merkt man schon, dass wir noch den ein oder anderen Nachteil haben. Hinzu kommt die Nähe zur Landesgrenze. In Bayern beginnt ein anderes Bundesland, eine andere Strategie, was die Verkehrswege betrifft. Dass wir eine Randlage in Baden-Württemberg sind, ist für uns eine Herausforderung.

Als Landrat müssen Sie zudem einen Spagat machen. Neben der Wirtschaft wollen Sie den Ostalbkreis ja auch als Tourismusregion etablieren…

Dr. Joachim Bläse: Wir brauchen den Dialog. Wir brauchen Gewerbeflächen, müssen aber auch schauen, wo wir schon Flächen haben, die belegt sind, die wir weiterentwickeln können. Wer sagt denn, dass die Wirtschaft immer mehr Fläche braucht? Wir müssen auch wieder höher bauen. Ich glaube, dass man künftig auch einen zweiten oder dritten Stock erleben wird. Der Ostalbkreis wird im Wirtschaftsbauen und im Wohnungsbau übrigens neue Wege gehen müssen.

Es gibt ja auch noch ältere, stillgelegte Betriebe mit ausreichend Fläche…

Dr. Joachim Bläse: Solange die Rahmenbedingungen so sind, wie sie jetzt sind, ist es einfacher und schneller und tatsächlich auch günstiger, auf neue Flächen zu gehen. Wenn wir nicht umdenken und die Anreize anders setzen, wird tatsächlich diese Philosophie des Flächenverbrauchs immer weitergetragen. Ich bin ein glühender Anhänger des „Bestand nutzen und Bestand weiterentwickeln“. Also erst Sanierung und dann Neubau, wie beim Straßenbau übrigens üblich.

Nachhaltigkeit, erneuerbare Energien… solche Faktoren werden doch auch für Firmen immer wichtiger. Beim Thema regenerative Energien ist noch Luft nach oben.

Dr. Joachim Bläse: Wir müssen sicherlich mehr Windräder bauen. Wir brauchen auch mehr Freiflächen für Photovoltaikanlagen. Als ich 2020 Landrat wurde, stand noch die Frage im Raum, ob Ökologie und Ökonomie im Widerspruch stehen. Und dann geht zwei Mal der Umweltpreis des Landes Baden-Württemberg in den Ostalbkreis an zwei hiesige Firmen. Ökologie und Ökonomie können also im Einklang stehen. Aber auch das umweltfreundliche Produzieren hat sich massiv geändert. Jeden Tag gibt es Anträge von Firmen. Mal ist es das eigene Windrad, mal eine PV-Anlage auf den Dächern. Firmen spüren, dass das Thema Energie für sie eines der entscheidenden Faktoren sein wird, um das, was sie selber erzeugen, unabhängig erzeugen zu können.

Wenn da nicht die Bürokratie wäre. Von der Planung bis zur Realisierung vergehen viele, viele Jahre. Bis da etwas entschieden ist, ist die Halbwertzeit des Produktes schon abgelaufen.

Dr. Joachim Bläse: Da müssen wir schneller werden, keine Frage. Als Landkreis müssen wir aber mehr Faktoren im Blick haben. Die kommunale Ebene ist eine Grundvoraussetzung, dass Wirtschaft gut funktionieren kann. Infrastruktur, Arbeitskräfte, Familie, Wohnen, Freizeit… das greift alles ineinander. Meine Aufgabe ist es, diesen Rahmen so zu gestalten, dass alles ineinandergreift.

Zeiss hat ein Werbevideo für den Ostalbkreis gedreht, das die Schönheit der Region in den Mittelpunkt stellt. Es zeigt, warum es sich lohnt, hier zu leben und zu arbeiten.

Dr. Joachim Bläse: Solche Kräfte müssen wir bündeln. Demografie ist neben dem Klima das zweitwichtigste Thema für uns. Wir brauchen Menschen von außerhalb, nicht nur außerhalb Baden-Württembergs. Im Rahmen der Zukunftsinitiative haben wir uns deshalb auf das Thema Standortmarketing konzentriert. Da können wir uns gemeinsam als Raum besser verkaufen.

Ist es eigentlich schwierig, die doch sehr selbstbewussten mehr als 40 Kommunen im Ostalbkreis für eine Zusammenarbeit zu begeistern?

Dr. Joachim Bläse: Egoismus gibt es nicht. Trotzdem ist es gut, dass wir selbstbewusste Bürgermeisterinnen und Bürgermeister haben. Früher wurde das Thema Wohnen meist aus der eigenen Entwicklung betrieben. Inzwischen ziehen die Kommunen an einem Strang. Alle Kommunen haben sich beispielsweise darauf geeinigt, mehr Flächen für erneuerbare Energien bereitzustellen. Im Ostalbkreis gab es nie Probleme, was die gemeinsame Zielrichtung betrifft.

Wir haben Weltmarktführer, tolle Hochschulen, vergessen wir dabei nicht oft, dass es auch andere Jobs gibt? Das Handwerk etwa?

Dr. Joachim Bläse: Da müssen wir uns alle an die eigene Nase fassen. Das geht ja bei der Schule schon los. Wir leben inzwischen in einer Gesellschaft, in der wir uns rechtfertigen müssen, wenn die Kinder auf die Werkrealschule gehen. Was? Studiert das Kind etwa nicht? Da ist etwas in eine Schieflage  geraten. Wir müssen dem Handwerk wieder die Bedeutung zuschreiben, die es für unsere Wirtschaft hat. Und wir müssen für das Handwerk werben. Das sind angesehene Jobs mit durchaus guter Bezahlung.

Es gibt Hackathons für Hochschulen. Warum gibt es diese kreativen Workshops nicht auch für das Handwerk?

Dr. Joachim Bläse: Gute Idee. Wir konzentrieren uns oft auf die mathematischen, technischen, digitalen Bereiche und meinen, so etwas spielt sich nur auf Hochschulen und Universitäten ab. Wer heute ins Handwerk geht, erlebt eine digitale Welt, viele technische Errungenschaften. Wir müssen die Handwerksbetriebe besser darstellen.

Wenn ich Unternehmer wäre. Wie würden Sie mich für den Ostalbkreis begeistern?

Dr. Joachim Bläse: Dann würde ich zunächst einmal sagen, dass der Kreis Ihrem Unternehmen sicherlich entsprechende Fläche zur Verfügung stellen kann. In einer meiner 42 Städte und Gemeinden gibt es garantiert die richtige Fläche. Ich würde sagen, hier kannst du nicht nur produzieren und arbeiten, du findest auch die Fachkräfte. Neben der Arbeit gibt es zudem ausreichend  Freizeitmöglichkeiten und ein reges Kulturleben direkt vor der Haustür. Und was uns ganz besonders auszeichnet, ist dieses Netzwerk, diese Gemeinschaft, dazuzugehören. Wenn es dann doch jemanden am Wochenende in eine Metropole zieht, ist er mit der Bahn halbstündig in Stuttgart, schnell in München und in den Bergen. Im Ostalbkreis gibt es aber ausreichend Möglichkeiten, die Natur in vollen Zügen zu genießen.

Vielen Dank, Herr Dr. Bläse, für das Gespräch.

Das ausführliche Interview mit Dr. Joachim Bläse, geführt von Lars Reckermann, Chefredakteur der Schwäbischen Post und Wirtschaft Regional, im Video finden Sie übrigens auf bit.ly/Interview_Ostalbkreis50

Interviewer der Schwäbischen Post beim sprechen
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